Das Rätsel um die seltsamen gewinkelten und großen Fensteröffnungen beschäftigte mich bei meinen Deichgängen in Bremerhaven schon immer: Sie gehören zu dem seit Jahren wegen Restauration geschlossenen Gebäude des Architekten Hans Scharoun auf dem Gelände des Deutschen Schifffahrt Museums, dicht hinter dem Weserdeich.
Ich habe die Fotos hier großformatig verwendet, um Betrachtern die Möglichkeit zu geben, den Blick im Gebäude etwas schweifen zu lassen. Zumal es nach meiner Erkenntnis bisher keine vergleichbar umfassende und öffentliche Bildsammlung zur faszinierenden Transparenz des derzeitigen Innenraums gibt. Also gerne teilen!
Und hier die Fotos und die spannende Geschichte zum mittlerweile völlig entkernten Scharounbau..
Der Luxus der wilden und reichen Siebzigerjahre.
In den siebziger Jahren wuchs und brummte auch in Bremerhaven die Wirtschaft, die Hoffnung und der kommunale Geldsack in schwindlige Höhen. Eine Zeit, in der kein baulicher Gedanke zu waghalsig war und die Finanzierung gewagter Architektur- und Städtebaupläne kein wesentliches Problem darstellte – was für eine Zeit aus heutiger Sicht!
Der geniale Architekt.
In dieser Zeit beauftragte Bremerhaven den berühmten Architekten Hans Scharoun, der hier seine Kindheit und Jugend verbracht hatte, das neue Schifffahrtsmuseum zu planen. Scharoun wurde in der Nachkriegszeit bekannt für seine organische Architektur, deren Ziel es war, wie ein Organ für seine Aufgaben zu wachsen. Es gibt wenig Rechtwinkliges, denn die Dimensionen der Räume sollen beim Besucher Wohlgefühle und Neugier statt Ehrfurcht erzeugen. Und er liebte Treppen, Durchsichten und verschiedene Ebenen.
Die wegen seiner Komplexität überlange Bauzeit von 1070 bis 1975 und die Fertigstellung erlebte der berühmte Architekt, der 1972 verstarb, leider nicht. Übrigens: Von ihm stammt u.a. die Berliner Philharmonie, die Berliner Staatsbibliothek und er beteiligte sich schon 1927 zusammen mit Le Corbusier und Mies van der Rohe an der legendären Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Und vieles mehr.
Überall überraschende Einblicke und Durchblicke.
So hatte die ursprüngliche Planung vier Eingänge, um ein (kostenloses) Durchströmen des Hauses durch Besucher zu ermöglichen. Die ständig um 1,50 Meter zueinander versetzten Geschossebenen lassen viele und überraschende Durchblicke und Lichtöffnungen zu. Auch Belüftung, Beleuchtung und Brandschutz sprengte wegen seiner Komplexität schon zur Bauzeit alle Rahmen, weshalb die neuzeitlichen Anforderungen an multifunktionale Elektrik ebenfalls eine Herausforderung sind.
Aus heutiger Sicht macht die Planung der Restauration des komplexen Gebäudes durch teilweise fragwürdige Bauvorschriften die Sanierung des Gebäudes nur erschwert finanzierbar - eine Erkenntnis, die sich auch in der neueren Diskussion um finanzierbare und unnötige Normen der Baubranche wiederspiegelt. Abgesehen davon: Es gibt keine andere Möglichkeit als dieses einzigartige und unter Denkmalschutz stehende Gebäude wieder seiner Bestimmung zuzuführen.
Die Planungen und Probearbeiten dazu sind schon weit fortgeschritten. Das Gebäude ist komplett digitalisiert, was selbst in diesem sehr komplexen Konstrukt eine zuverlässige Planung der einzelnen Gewerke zulässt.
So kann es weitergehen:
Der den Umbau betreuende Architekt, Gutachter und Planer Wilke-Bernd Wiedenroth, dessen kurzweilige Führung am Tag des offenen Denkmals kaum Fragen offenließ, versprach innerhalb von zwei Jahren mit dem Umbau fertig werden zu können. Aber nur, wenn das Geld dann auch komplett zur Verfügung stehen sollte. Anschließend stieg der freundliche Mann lächelnd in seinen perfekt restaurierten Citroën 2CV und brauste davon.
Thomas Damson
Sommer 2024
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