Von Königen, Fischern und Seefahrern.
Bei dem Begriff Kulturgut denke ich meist an in Museen, Kirchen und Palästen ausgestellte königliche, staatliche oder religiöse Schmuck- und Prunkgegenstände der jeweiligen Obrigkeiten. Auch Gemälde und Namen berühmter Maler fallen mir noch ein, alleine schon durch die oft horrenden Versicherungssummen, die für sie genannt werden oder die unglaublichen Summen, die auf Versteigerungen dafür aufgerufen werden.
Aspekte des maritimen Lebens
Aber nehmen wir, als krassen Sprung in die normale Wirklichkeit der Altertumsforschung, beispielsweise den bei der Bergung der mittelalterlichen Kogge in der Weser geborgenen Toilettensitz, der nun als Teil des restaurierten Wracks im Deutschen Schifffahrtsmuseum zu besichtigen ist. Das eindeutige Zweckmöbel besitzt keinen Gebrauchswert mehr, da es in seiner ursprünglichen Bestimmung nicht mehr zu gebrauchen ist. Nach mehreren hundert Jahren im Schlick der Weser ist es mehr von bröseligem Zustand als von der einst stabilen Eiche, die das Möbel einst war.
Quellen der Erkenntnis als Kulturgut
Im Gegensatz zu den bei Königen teilweise vergoldeten Vorrichtungen des Stuhlgangs, ist unser hölzernes Überbleibsel nicht von wirklich bezifferbarem Wert - aber als „nicht materielles Kulturgut“ von bedeutendem Wert der historischen Forschung. Es ist sichtbarer Beweis und wissenschaftliche Erkenntnisquelle, dass und wie sich die Menschen des Mittelalters an Bord einer Bremer Kogge um den geordneten Abgang ihrer Verdauung sorgten und dies auf genial einfache Weise, vermutlich direkt über der Bordwand, organisierten.
Die gesetzliche Verpflichtung zur Erhaltung
Seit 2016 gibt es das neue Kulturschutzgesetz und es verpflichtet auch das DSM zu ausnahmslosem Schutz der ihm anvertrauten materiellen und immateriellen nationalen Kulturgüter. Übrigens regelt dieses Gesetz auch das Verbot der Verbringung des nationalen Kulturguts in andere Länder und ebenso die Pflicht der Rückgabe von oft geraubten Kulturguts zurück in die jeweiligen Ursprungsländer.
Und somit sind wir beim Grund, warum dem DSM mit seinen mittlerweile auf 60.000 Objekte und 380.000 Archivalien gewachsene Sammlung geeignete Räumlichkeiten benötigte.
Erste Pläne mit 100 Millionen Euro.
Schon 2008 entwickelte der Architekt Bangert einen sehr ambitionierten Masterplan für ein Schaumagazin, ein Archivgebäude in Würfelform und eine Bibliothek in unmittelbarer Nachbarschaft des Museums, auf dem derzeitigen Parkplatz neben dem DSM. Die veranschlagten Kosten für den sicherlich beeindruckenden Entwurf betrugen atemlos machende 100 Millionen Euro. Danach war erst mal lange Zeit große Stille in der Seestadt.
Aber im zeitlichen Zusammenhang mit dem 2016 verabschiedeten Kulturgutschutzgesetz, beauftragte der Stiftungsrat des DSM eine dann im gleichen Jahr fertiggestellte Machbarkeitsstudie, um das unumgängliche Platzproblem eines Forschungsdepots endlich in einer monetär machbaren Variante Wirklichkeit werden lassen zu können.
Drastisch reduzierte und auch eingehaltene Kosten von 8 Millionen.
Das Ergebnis: Anstelle des benachbarten Premiumplatzes neben dem Museum erwarb das DSM freistehende Flächen im Bereich des Gewerbegebiets Fischereihafen und so konnte der längst überfällige Neubau des Forschungsdepots mit den dafür als Kompromiss eingebrachten Anforderungen nun statt für 100 Millionen für 8 Millionen Euro realisiert werden.
Die Kogge und was daraus wurde und immer noch wird
Der zufällige Fund der mittelalterlichen Bremer Kogge im Schlick der Weser erlaubte der Forschung erstmalig den fundierten Einblick in die Konstruktion einer mittelalterlichen Kogge samt Erkenntnissen über das Leben der Seefahrer an Bord, wie es vorwiegend im mittelalterliche Bund der Hansestädte Bremen und Hamburg üblich war. Aus diesem Grund wurde das DSM als Forschungsmuseum des maritimen Lebens gegründet und neben den Forschungsprojekten sammelten sich immer mehr Objekte und Schriftstücke zum maritimen Leben.
Das Verlassen der wissenschaftlichen Denkkammern.
Spätestens seit dem die Leipnizstiftung der Bundesrepublik die Finanzierung der Forschungsarbeit des DSM in wesentlichen Teilen übernahm, rückte es auf in den Rang von „Nationaler Bedeutung“ und wird seitdem „Aufgrund von wissenschaftlichen Exzellenz und gesellschaftlichen Relevanz auf Grundlage regelmäßiger wissenschaftlicher Evaluierungsverfahren durch Bund und Länder gefördert“.
Die von der Leipniz-Stiftung geforderten drei Förderbedingungen als neuzeitlicher Daseinszweck sind, vereinfacht formuliert: 1. Wissenschaftliche Forschung 2. Aufbewahrung, Katalogisierung sowie umfassende Digitalisierung und 3. als wichtiges neuzeitliches Element: Die Vermittlung von wissenschaftlicher Tätigkeit im Austausch mit dem Publikum.
Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des Forschungsdepots für ihre freundlichen Auskünfte und die Zeit, die sie sich für mich genommen haben, insbesondere bei Frau Annika Opitz, die als Bereichsleitung Sammlungsinfrastruktur den Neubau von den ersten Planungen an begleitet hat und mir selbst den Depotneubau zeigte sowie mir meine vielen Fragen beantwortete.
Das Depot zieht übrigens nach der jetzt beendeten letzten Ausstellung, vom Bangertbau und dem provisorischen Depot ins neue Refugium. Endgültig abgeschlossen muss der Umzug im späten Frühjahr 2023 sein. Das riesige Ausmaß der anstehenden Arbeit wird mit sehr ausgedünnter Personaldecke geleistet - mein großer Respekt!
Thomas Damson
Sommer 2022
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