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Die schwingenden Titanen der Schweizer Berge. Und der unbekannte Fotograf.


Das Schwingen als uralte Schweizer Sportart für Männer existiert seit vielen Jahrhunderten und war ursprünglich ein regionaler Kampfsport der Hirten der Alp. Die unblutigen Regeln sind einfach: Es wird versucht, den Gegner mit einem Griff an den reißfesten Leinenhosen oder dem Gürtel zu hochzureißen und dann durch Drehung des Körpers zu Fall auf den mit Sägemehl aufgeschütteten Boden zu bringen. Ausgebildete Schiedsrichter überwachen die Angelegenheit, bei der sich Laien und Profis sich einen halben Tag lang auf benachbarten Plätzen kämpfend aussortieren.

Diese nationale Tradition, auf die die Schweizer durchaus stolz sind, wird oft vom beeindruckenden Ausblick auf die Berglandschaft dekoriert und von eidgenössischer Folklore wie Albhornblasen sowie sehr schlichten Chorgesängen in den Pausen begleitet und demonstriert: Hier oben ist die Welt noch einfach und in Ordnung und das ist die Schweiz.

Die Kämpfer sind schon lange Laien und Profis, letztere kämpfen auf möglichst vielen der über den ganzen Sommer in der Schweiz verteilten „Schwingen“ und wiederum einige der muskulösen Titanen kennen sich untereinander und trainieren oft in gemeinsamen Vereinen. Wie bei fast jedem Sport geht es auch um Geld: 2011 teilten sich von allen übers Jahr Teilnehmenden lediglich 70 Athleten das eingenommene Werbegeld, wovon wiederum lediglich 20 Titanen auf über 80 Prozent der Einnahmen zugreifen konnten. Der "Jahreskönig" kam 2013 auf eine geschätzte Einnahme von 500.000 Schweizer Franken - Tendenz steigend - und für die Jahre nach Corona wird die Steigerung für den Jahreskönig der Schwinger auf 1 Million erwartet.

Nun war ich also eingeladen zu fotografieren. Als wir nach sechs Uhr morgens mit der roten Rigibahn an der Bergstation angekommen waren, verließ die letzte Wolke gerade zögerlich und noch ungemütlich nieselnd den Berg und windstilles, sonniges Idealwetter zog langsam an ihre Stelle auf die „Königin der Berge“ und öffnete den Blick auf ein spektakuläres Bergpanorama.

Das Schwingen ist Nationalsport und in der Schweiz hat Traditionspflege einen sehr hohen Stellenwert. Deshalb ist auch auf jedem wichtigen Rigischwingen alles an Sportfotografen der Schweizer Medien vertreten. Sie kauern und hocken am Rand der Kampfplätze und lediglich in einer Pause haben sie einmal Gelegenheit, von den bekannten Champions extra für sie gezeigte Stellungen und Griffe beim Schwingen aus der Nähe zu fotografieren.

Eigentlich war es gut für mich, diese Regeln nicht zu kennen. Denn ich hatte mich mit meiner kleinen Reportagekamera als einziger Fotograf sofort und ungefragt immer wieder kurz zwischen die Kampfgruppen begeben um das echte Schwingen zu fotografieren. Die Berge, die Zuschauer und die verschiedensten Akteure war für mich überwältigend, meiner eigenen Welt fremd und dennoch war ich mittendrin. Und ich wollte die Dinge auf den Bildern zusammenbringen.

Die Herausforderung für Fotografen bei diesem Sport: Nach den oft minutenlang lauernden Bewegungen des sich über den Sägemehlplatz Schiebens und Ziehens der zwei Kämpfer folgt plötzlich und völlig unerwartet der lang erwartete Schwung. Keine Zeit für Verändern irgendwelcher Einstellung des Objektivs - es geht nur noch das schnelle verdrehen des Bildausschnitts, um sowohl den Schwung als auch den Hintergrund mit aufs Bild zu bekommen. Wer von den Kämpfern mit dem Rücken den Boden berührt, hat verloren.

Im Nachhinein bin ich sehr dankbar, das ich als einziger Fotograf mich so unmittelbar ins Geschehen einmischen durfte. Wahrscheinlich kam mir zugute, das ich allen Anwesenden der Schweizer Presse ein völlig unbekannter Fotograf war, der da inmitten der Schwinger seinen wahrscheinlich beeindruckenden und einsamen Tanz mit der Kamera dicht neben den Kämpfern aufführte.

Thomas Damson


Sommer 2022

Fotografie vom Sommer 2012


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